Der Fachkräftemangel in Deutschland ist eklatant und allgegenwärtig. Am 16.08.2023 hat der deutsche Gesetzgeber deshalb eine viel diskutierte und weitreichende Änderung des Aufenthaltsgesetzes beschlossen (Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung, BGBl. 2023 I Nr. 271 und Achte Verordnung zur Änderung der Beschäftigungsverordnung, BGBl. 2023 I Nr. 233). Das Gesetz hat vor allem Änderungen bei der Fachkräftezuwanderung im Blick und untergliedert sich in mehrere Teile, die zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten in Kraft treten werden (also ab diesem Zeitpunkt gültig sind). Die ebenfalls in der Öffentlichkeit viel beachtete Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (insb. die Abschaffung des Verbots der Mehrstaatigkeit) ist allerdings nicht Teil der Reform des Aufenthaltsgesetzes, sondern wird in einem separaten Gesetz geändert (welches zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch nicht verabschiedet ist).
Grob zusammengefasst lässt sich die Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes inhaltlich in drei Teile aufsplitten:
1. Änderungen bei der Blauen Karte EU (Inkrafttreten: 18.11.2023)
2. Einführung eines Visums für Fachkräfte mit ausländischer Berufsausbildung (sog. Erfahrungssäule) (Inkrafttreten: 01.03.2024)
3. Einführung der sog. “Chancenkarte” (sog. Potenzialsäule) (Inkrafttreten: 01.06.2024)
Dieser Blogbeitrag befasst sich mit den Änderungen bei der Blauen Karte EU.
Absenkung der Gehaltsschwelle und “kleine” Blaue Karte EU für andere Berufsgruppen
Blaue Karte minimales Gehalt in Deutschland 2023 (Grundregel)
Bis zum 18.11.2023 ist für die Beantragung einer Blauen Karte EU erforderlich, dass der Arbeitsvertrag ein Gehalt von 58.400 Euro vorsieht, wenn es sich nicht um einen sog. Mangelberuf handelt (66 % der sog. Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung für das Jahr 2023, § 18b Abs. 2 AufenthG a.F.). Dieses Minimalgehalt wird sich durch die Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes ändern, sodass nur noch rund 43.800 Euro erforderlich sein werden (50 % der sog. Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung für das Jahr 2023, § 18g Abs. 1 AufenthG n.F.).
Blaue Karte minimales Gehalt in Deutschland 2023 (Mangelberuf)
Das genannte Gehalt ist allerdings nur erforderlich, wenn es sich bei der ausgeübten Position nicht um einen Engpassberuf handelt. In bestimmten Branchen herrscht ein besonders extremer Fachkräftemangel (insb. in den IT-Berufen), weshalb der Gesetzgeber hier die Einwanderung besonders erleichtern will.
Was ist ein Mangelberuf (Blaue Karte 2023)?
Unter Mangelberufen werden allgemein Branchen verstanden, bei denen besonders viele Stellen unbesetzt sind. Dieser Personalmangel ist besonders in den Großstädten wie Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main und München sichtbar. Hier reißen sich die Unternehmen um gut ausgebildete Fachkräfte (z.B. aus Indien und Russland).
Bisher waren Mangelberufe lediglich IT-Fachkräfte, Ingenieure, Ärzte, Naturwissenschaftler und Mathematiker (sog. “MINT-Berufe” (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (Gruppen 21, 221 oder 25 der ISCO))). Innerhalb dieser Berufe sind allerdings auch nur bestimmte Spezialisierungen erfasst. Ausschlaggebend ist insofern nicht der Bereich, in dem gearbeitet wird, sondern die Definition der Berufe gemäß der Internationalen Standardklassifikation der Berufe (International Standard Classification of Occupations (ISCO)) der Internationalen Arbeitsorganisation.
Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz nimmt nun weitere Gruppen in die Definition der Mangelberufe auf, indem es im neuen Paragraphen zur Blauen Kare (§ 18g AufenthG n.F.) auf weitere ISCO-Berufsgruppen verweist. Insbesondere Führungskräfte in der Produktion, im Bergbau, in der Logistik und in manchen Dienstleistungsbereichen sind nun ein Mangelberuf (Gruppen 132, 133, 134 der ISCO). Gleiches gilt für Tier- und Zahnärzte (Gruppen 222 und 225 der ISCO), sowie bestimmte Berufe im Bereich der Krankenpflege (Gruppe 226 der ISCO) und Lehrer (Gruppe 23 der ISCO). Eine detaillierte Auflistung aller Engpassberufe finden Sie bei Make it in Germany.
Was ist das minimale Gehalt bei einem Mangelberuf (Blaue Karte 2023)?
Für Mangelberufe muss bei der Beantragung eines Visums oder einer Aufenthaltserlaubnis lediglich ein geringeres Gehalt nachgewiesen werden, welches ab dem 18.11.2023 39.682,80 Euro beträgt (45,3 % der sog. Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung für das Jahr 2023, § 18g Abs. 1 AufenthG n.F.). Diese Gehaltsgrenze gilt nach dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz jetzt auch für Berufsanfänger, welche in den letzten drei Jahren ihren Hochschulabschluss erworben haben. Dies gilt unabhängig davon, ob der Berufsanfänger in einem Mangelberuf arbeitet oder nicht.
Blaue Karte EU für IT-Spezialisten ohne Hochschulabschluss
Neu ist außerdem, dass IT-Spezialisten nun eine Blaue Karte beantragen können, ohne einen entsprechenden Hochschulabschluss zu besitzen. Bisher waren entsprechende Hochschulabschlüsse immer zwingende Voraussetzung für die Erteilung der Blauen Karte EU. Hiervon profitieren insbesondere IT-Spezialisten aus Ländern, in denen die Hochschulabschlüsse häufig nicht anerkannt sind (z.B. Südafrika oder die Philippinen). Viele Antragsteller aus diesen Ländern mussten bisher entweder das Visum für IT-Professionals beantragten oder das Zeugnisbewertungsverfahren bei der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) durchlaufen. Diese Schritte werden nun entfallen.
Voraussetzung für die Blaue Karte für IT-Professionals ohne (anerkannten) Hochschulabschluss) ist (neben dem Blaue Karte-Gehalt) allerdings, dass Sie in den letzten sieben Jahren mindestens drei Jahre in dem Beruf des IT-Professionals gearbeitet haben. Hierbei kann es ratsam sein, sich beraten zu lassen, welche Tätigkeiten genau zu diesem Zeitraum zählen. Erforderlich ist nämlich nicht irgendeine dreijährige Tätigkeit, sondern eine Tätigkeit die in ISCO-Berufsdefinitionen der Gruppen 133 und 25 fallen (s.o.).
Erleichterter Arbeitsplatzwechsel
Eine weitere viel erwartete Änderung bei der Blauen Karte EU ist der erleichterte Arbeitsplatzwechsel. Grundsätzlich ist für einen Wechsel des Arbeitgebers oder der Position beim gleichen Arbeitgeber (z.B. bei Beförderung) eine Erlaubnis der Ausländerbehörde erforderlich. Dies war häufig problematisch, da die Ausländerbehörden (insbesondere in den Großstädten wie Berlin, Frankfurt am Main und München) häufig vollkommen überlastet sind. Dies führte dazu, dass der Arbeitgeberwechsel (z.B. nach einer Kündigung) manchmal bis zu 6 - 9 Monate dauerte. In dieser Zeit war die Position dann häufig bereits von jemand anderem besetzt worden.
Der Gesetzgeber hat dieses Problem erkannt und durch die Reform zumindest teilweise gelöst. Zunächst wurde die Zeit, in der eine sogenannte Arbeitgeberbindung (also das Verbot, für einen anderen Arbeitgeber oder auf einer anderen Stelle tätig zu werden) von zwei Jahren auf ein Jahr reduziert. Neu ist außerdem, dass innerhalb dieser 12 Monate der Arbeitgeberwechsel nicht mehr beantragt werden, sondern nur angezeigt werden muss. Konkret bedeutet dies, dass Sie keine Erlaubnis mehr für den Arbeitgeberwechsel brauchen, sondern diesen der Ausländerbehörde (beispielsweise über das jeweilige Kontaktformular (z.B. das der Ausländerbehörde Berlin)) nur mitteilen müssen. Die Ausländerbehörde kann den Arbeitsplatzwechsel dann zwar (theoretisch) verbieten, allerdings ist in der Praxis allein aufgrund der Überlastung der Ausländerbehörden nicht damit zu rechnen, dass diese sich auf diesem Weg zusätzlich Arbeit machen wollen. Selbst wenn dies allerdings der Fall sein sollte, kann gegen das Verbot des Arbeitsplatzwechsels (z.B. durch einen Rechtsanwalt für Migrationsrecht) Widerspruch eingelegt werden.
Schnellere Erlangung der Niederlassungserlaubnis mit der Blauen Karte EU
Die Reform wird weiterhin dazu führen, dass Inhaber einer Blauen Karte nun (noch) schneller die Niederlassungserlaubnis beantragen können. Bisher konnten Inhaber einer Blauen Karte EU die Niederlassungserlaubnis anstatt nach 60 Monaten bereits nach 33 Monaten (mit A1-Sprachkenntnissen) bzw. nach 21 Monaten (mit B1-Sprachkenntnissen) beantragen. Die Frist für die Niederlassungserlaubnis mit A1-Sprachkenntnissen wird nunmehr von 33 Monaten auf 27 Monate verkürzt. Eine Verkürzung der erforderlichen Zeiten findet auch bei der Beantragung einer Niederlassungserlaubnis für akademische Fachkräfte (ohne Blaue Karte) statt. Diese Personengruppe kann nun die Niederlassungserlaubnis nach drei Jahren statt nach vier Jahren beantragen.
Europaweite Mobilität mit der Blauen Karte EU
Die letzte relevante Änderung bei der Blauen Karte EU ist die Möglichkeit für Inhaber von Blauen Karten EU aus anderen europäischen Ländern, auch in Deutschland zu arbeiten, wenn die Beschäftigung in direktem Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit steht. Bisher konnten Inhaber von anderen Aufenthaltstiteln in Europa zwar reisen, aber im jeweiligen Land nicht arbeiten. In diesen Fällen musste dann stets aufwändig ein Aufenthaltstitel zur Entsendung beantragt werden. Dieser Aufwand entfällt nun für Inhaber einer Blauen Karte EU. Bitte beachten Sie allerdings, dass dies nur für eine Entsendung nach Deutschland (aus einem anderen EU-Mitgliedstaat) und nicht für Entsendung aus Deutschland (in einen anderen EU-Mitgliedstaat) gilt.
Sonstiges
Das PDF des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes (Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung, BGBl. 2023 I Nr. 217 vom 18.08.2023) kann auf der Website der Bundesregierung heruntergeladen werden (hier).
Das PDF der neuen Fachkräfteeinwanderungsverordnung (Achte Verordnung zur Änderung der Beschäftigungsverordnung, BGBl. 2023 I Nr. 233) kann auf der Website der Bundesregierung heruntergeladen werden (hier).
Comments